Why Don’t You Weep?
Einzelausstellung, Spaced Out, Kerkow, 23.6. – 1.9.2024
Mitten in einer Nacht im Januar, geplagt von Unruhe und Hunger, ging ich zum Kühlschrank, schnitt die Plastikverpackung eines Räuchertofus auf und aß diesen allein im Bett. Am nächsten Morgen wachte ich neben der leeren Verpackung auf. Diese Szene, die eine Mischung aus Traurigkeit, Selbstbeobachtung und Alltäglichkeit widerspiegelt, wurde zum Ausgangspunkt für die Installation Why don’t you weep?
Zwischen dem Holzgebälk im ehemaligen Kornspeicher auf Gut Kerkow schweben 14 Hängematten, die den Raum in eine Atmosphäre der Besinnung und Reflexion tauchen. Die Hängematten wurden in einem sanften, leicht lila-rötlichen Schimmer gefärbt und laden die Besucher_innen ein, sich in sie zu legen und von ihnen gehalten zu werden. Sie werden im Verlauf der Ausstellung von mir bestickt mit kaum leserlichen Inschriften wie „wer Sturm sät“, „du hast es dir so ausgesucht“, „poverty isn’t destiny“, „believe women“ oder „die Ärzte haben gesagt, Menschen sind nur bis zu einem bestimmten Grad belastbar“ und regen dazu an, über gesellschaftliche und persönliche Erzählungen nachzudenken, die mit Wut, Schmerz und Widerstand verbunden sind.
Wie lässt sich der Blick auf die Welt justieren, wenn sich jede_r Einzelne vergegenwärtigt, dass (auch) anderen unfassbares Leid widerfuhr? Braucht es nicht eine tiefere Reflexion unseres eigenen Wissens und unserer Gefühlswelt, um solches Leid anzuerkennen ohne uns mit ihm zu identifizieren? Was geschieht mit uns, wenn die Fähigkeit zu trauern abhanden kommt und wir dennoch gezwungen sind, in unserem Alltag weiterzumachen? Kann in der Trauer eine Möglichkeit liegen, die eigene Erfahrung in ein angemessenes Verhältnis zu der der anderen zu setzen?
Ich schlage vor, Trauer als einen notwendigen Seelenzustand zu betrachten, der oft aus aktivistischen, politischen oder gesundheitlichen Gründen oder aufgrund gesellschaftlichen Drucks aufgeschoben oder verzögert wird. Die vier Lesungen, die während der Ausstellung die Installation aktivieren, bieten Gelegenheiten, die Gründe für verspätete Trauer in einem Umfeld introspektiver Ruhe im gemeinsamen Zuhören zu erkunden. Von persönlichen Verlusten bis hin zu gesellschaftlichen Traumata eröffnen die gelesenen Texte einen Raum, um über die Komplexität von Trauerprozessen nachzudenken. Ereignisse wie Flucht, Aussiedlung, Pandemien oder täglich erfahrene strukturelle Diskriminierungen können Gram und Schmerz auslösen, die jedoch aufgrund ihres Ausmaßes oft verdrängt werden müssen.
Why don’t you weep? ist ein Ort des Zusammenkommens, des für sich und zugleich mit anderen Seins. Es ist ein Ort, an dem es nicht darum geht, eigene Erfahrungen mitzuteilen, sondern eine Chance, andere Umgangsformen für Trübsal und Niedergeschlagenheit zu entdecken. Ich verstehe die Installation als eine temporäre Unterbrechung, welche die Besucher_innen einlädt, die Bedeutung von Trauer im eigenen Leben neu zu betrachten und sie sanft auffordert, die titelgebende Frage für sich selbst zu beantworten.
– 23. Juni Markues liest Ich ließ dich los nach ein paar schönen Jahren von Detlev Meyer
– 30. Juni Samantha Bohatsch liest Wenn alles zusammenbricht von Pema Chödrön
– 28. Juli Merle Vorwald liest aus Dauergloss und stellt dem eigenen Text Passagen aus Jenseits von Schuld und Sühne von Jean Améry und aus weiter leben. Eine Jugend von Ruth Klüger gegenüber
– 1. September John MacLean liest Our Grateful Dead von Vinciane Despret